Ich liebe es, zu packen

Tschüß, ich fahre jetzt nach Spanien

Anreise bis Hohenems

»Hey Bo. Los geht’s.«, sage ich und fahre rückwärts von meiner Auffahrt runter. Meine Söhne winken.

Vor einem Jahr hatte ich ein kleines Abschiedskomitee aus Freundinnen und meinem Ex sowie meinen Söhnen. Im Auto sind mir dann damals die Tränen gekommen, weil ich es kaum glauben konnte, dass ich das jetzt machte. Dieses mal fühle ich mich anders, nicht so aufgewühlt, irgendwie abgezockter. Okay, ich kenne die Strecke, ich glaube zu wissen, auf was ich mich einlasse.

Als ich aus unserer Straße abbiege treffe ich eine der Freundinnen, die mich letztes Jahr mit Fahnen, Luftballons und Wimpeln verabschiedet hat. Sie kommt gerade von der Arbeit nach Hause. Wir halten nebeneinander an, fahren die Fenster runter und ich sage: »Tschüß, ich fahre jetzt nach Spanien.« Sie schaut mich mehr als verdutzt an und erwidert: »Okaaaaay … dann bleibst du wohl länger!?!« Ich bejahe das, korrigiere nochmals meine Aussage, denn ich fahre ja erst nach Österreich und dann weiter nach Spanien. Sie wußte nichts davon.

Vor einem Jahr wussten es alle, alle meine Freunde und alle, die ich kenne. In diesem einem, letzen Jahr ist soviel passiert. Ich war oft unterwegs. Offensichtlich habe ich mich ein wenig entfernt, immer wieder räumlich und dadurch auch mental. Irgendwie finde ich die Situation sehr cool. Wir treffen uns hier zufällig. Sie auf dem Heimweg, ich auf dem Weg nach Spanien an einem Mittwoch Mittag und ich erzähle ihr das mal eben so nebenbei. Wie enorm bitte schön hat sich mein Leben verändert? Ich muss sehr darüber schmunzeln.

Wir können leider nicht viel mehr reden, da wir andere Autofahrer behindern, hier mitten auf der Straße. Also sagen wir schnell Tschüß und ich fahre los. Ja, ich fahre los. Ein Jahr nach meinem Trip allein nach Spanien, bei dem ich in Tarifa gestrandet bin, bei dem ich soviele nette und interessante Menschen kennengelernt habe mit spannenden Geschichten und Lebenskonzepten, bin ich wieder on the road und fahre tatsächlich los. Diese Mal bin ich nur den ersten Teil der Strecke alleine. Ich hole meinen Freund in Österreich ab. Das ist ja nur ein klitzekleiner Umweg von ca. 300 km pro Weg. 

Meine Reisegefährten auf dem ersten Teil der Strecke

Meine Fahrt beginnt unspektakulär. Nach circa einer Stunde merke ich, dass ich langsam runterkomme und entspanne. Ich denke darüber nach, dass ich viel zu viele Klamotten eingepackt habe und dass ich die Hälfte bei meiner Zwischenstation in Österreich lassen kann. Was brauche ich denn schon? Meist ziehe ich eh immer das Selbe an. Vor Ort oder auf einem Road-Trip stellt sich jedesmal für mich heraus, dass ich eigentlich sehr, sehr wenig brauche. Deswegen liebe ich diese Art von Leben oder Urlaub so unglaublich. Jedes Mal merke ich, dass die wesentlichen Dinge eben keine Dinge sind, sondern Erlebnisse. Ich genieße es, in der Natur zu sein, zusammen mit netten Menschen zu sein und meine Zeit einfach sinnvoll zu nutzen. Darauf kommt es an. Was bedeutet schon Kleidung? Ich muss mich in ihr wohlfühlen und ob ich zwei Wochen lang das gleiche Shirt trage, es eventuell mal wasche zwischendurch, interessiert mich nicht wirklich. In solchen Situationen bin ich ganz bei mir und merke auf was es mir im Leben ankommt.

Meine Fahrt nach Hohenems hat Höhen und Tiefen. Das Wetter ist recht schlecht. Teilweise regnet es so stark, dass ich auf der Autobahn nur 60 km/h fahren kann. Dann werde ich noch in einer Baustelle geblitzt und irgendwann langweile ich mich einfach. Also versuche ich einen Freund in Köln anzurufen, aber die Verbindung ist so schlecht und der Regen wird immer stärker, dass wir das Gespräch abbrechen.

Hohenems

Nach langen Stunden im Auto mit einer kurzen Pause passiere ich den Hinweis auf Baden Württemberg und freue mich – wie immer, wenn ich ins Ländle  komme – riesig. Mein Herz macht ebenso einen Sprung, als ich zum ersten Mal auf einem Schild »Lindau, Bregenz« lese. Kurz vorm Ziel bei Lindau macht die Autobahn eine kleine Kurve. Mittlerweile dämmert es. Es ist Vollmond und ich kann aufeinmal die Berge als dunkle Riesen am Horizont sehen. Die Wolken ziehen in zwei Schichten am strahlend hellen Mond vorbei. Die untere Wolkenmasse ist viel schneller als die obere und so ergibt sich ein beeindruckendes Szenario am Himmel, alles dramatisch beleuchtet von diesem satten Vollmond. Meine Freude ist gigantisch und mein Herz schlägt Purzelbäume. »Okay«, denke ich, »warum freue ich mich so mega die Berge zu sehen? Bin ich doch ein ausgemachter Alpenfan?«

Als ich die Grenze zu Österreich passiere grinse ich das nächste Mal total, tätschle das Lenkrad von Bo und lobe ihn, die Hunde und mich selbst auch ein wenig. Zehn Minuten später bin ich bei meinem »Buddy«. Die Fahrt ab der Grenze fühlt sich ein wenig an wie ich Hause kommen, obwohl ich hier ja noch nicht ganz so oft war. Es ist schon erstaunlich, ich bin an so vielen Orten zu Hause. Was für ein tolles Gefühl und was für ein tolles Leben.

Wo bist du überall zu Hause?