Tarifa 4.0

Unperfekt perfekt!

Wieder geht es für uns nach Tarifa und wieder geht es im März los. Nur dieses Mal ist alles anders, denn wir fliegen nach Málaga, mieten dort einen Camper und bleiben »nur« zwei Wochen. Mehr Zeit finden wir zusammen nicht und gar nicht zu fahren ist für uns keine Option. Also ist anja bo und co in völlig anderer Besetzung unterwegs. Ohne Bo und ohne Moby sind nur Alex und ich auf Reisen. Ich bin sehr gespannt wie das wird! 

Unser Camper – auch mit viel Gepäck zu empfehlen

Am Mirador kurz vor Tarifa

Kite Beach Los Lances Norte

Wir mieten bei IndieCamper einen Nomad, das ist ein Fiat Ducato mit Weinsberg-Aufbau (alles unbezahlte Werbung). Ich war selber noch nie mit einem richtigen Camper unterwegs. Am ersten Abend wünsche ich mich noch in meinem Bo zurück, weil ich mich nicht auskenne im Camper, die Lichtschalter nicht finde alles neu und anders ist. Aber das legt sich super schnell. Von Tag zu Tag, weiß ich unser zu Hause auf Rädern mehr zu schätzen.

Moby vermisse ich anfangs sehr. Es sind die kleinen Dinge bei denen er fehlt. Bei den ersten paar Fahrten wundere ich mich permanent wieso da eigentlich kein Hund neben mir hechelt oder seinen Kopf auf mein Bein legt und mich mit seinen treuen braunen Augen anschaut. Aber auch daran gewöhne ich mich schon bald.

Sonntags kommen wir an. Da der Flug recht früh ging sind wir bereits Nachmittags in Tarifa. Es ist – mal wieder – wie nach Hause kommen. Am Mirador halten wir, schauen nach Afrika rüber und essen dieses Mal eine Kleinigkeit. Dann geht es weiter um die letzen Kurven und der erste Blick auf Tarifa und diesen wundervoll langen Strand macht uns total glücklich.

1. Sundowner

2. Sundowner

… und Nr. 3 mit BBQ

Back home

Die erste Nacht verbringen wir in der Stadt, parken in der Nähe unserer Wohnung vom letzen Jahr und ziehen durch ein paar Bars. Unseren ersten Sundowner genießen wir im Waikiki und sind einfach nur froh wieder hier zu sein.

Wir treffen bei unserer »Kneipen-Tour« auch direkt einige Tarifeñas und Tarifeños, mit denen wir vor einem Jahr kleine Freundschaften geschlossen haben. Es ist, als wäre das Jahr nicht vergangen. Wir schließen einfach da an wo wir aufgehört hatten. Ein paar Neuigkeiten gibt es: so ist das »diabolisch«-italienische Kickerspieler-Paar aus der Surf Bar »Tomatito« kein Paar mehr. Das ist super schade, denn wir hatten uns so sehr auf ein paar Matches mit den beiden gefreut! Die andere Neuigkeit ist, dass eben diese Bar im April für immer schließt, womit eigentlich eine Ära zu Ende gehrt. Wir lernen dort zufällig Neele, Anna und Alex kennen (wieso heißen hier eigentlich alle Männer Alex?). Die Drei entpuppen sich als ein top Ersatz, was das Kickern angeht. Besonders beeindruckend finde ich, dass die beiden Mädels mit Fahrrad da sind, 3400 km in den Beinen haben und weiter nach Marokko wollen. Hut ab! Leider schaffen wir es nicht auf ein paar weitere Treffen.

Unser Plan viel wild zu stehen, geht super auf. Denn wir können unser Klo, Grey-Water und Frisch-Wasser an einer Tankstelle in Tarifa ablassen bzw. füllen – alles für schlappe 3,- Euro. Im China-Shop kaufen wir einen Grill und ein paar Dinge, wie z.B. einen Teppich, eine Fußmatte, eine Hawaii-Lei-Blumenkette und eine Klobürste (!!), um es uns im Camper ein wenig persönlicher und  komfortabler zu machen.

For me: lazy kite beach

Arte Vida

Spot sichten für’s Wellenreiten

Die ersten Tage gibt es Wind, so dass Alex kiten kann. Dann läßt der Wind nach und wir verabreden uns mit meinem Surf-Lehrer Alex vom letzten Jahr zum Wellenreiten-Kurs. Er ist nicht nur Surf-Coach sondern auch Therapeut und so gibt es immer viel zu reden und die Treffen mit ihm sind alles andere als oberflächig. Zwei Sessions können wir mit ihm machen, eine beim Arte Vida und eine in Bolonia. Für das dritte Mal leihen wir uns ein Board und versuchen es auf eigene Faust beim Arte Vida. Ich bin überrascht, dass es bei mir bei allen Sessions einigermaßen gut klappt.

Es ist ein unglaublich tolles Gefühl, wenn die Welle dich mitnimmt, anhebt und du mit ihr in Richtung Strand saust. Jedes mal quietsche ich vor Freude. Zwei-, dreimal schaffe ich es fast, auf dem Board zu stehen. Aber ich weiß ganz genau, dass es noch ein sehr langer Weg ist um wirklich surfen zu lernen.

Genieße es!

An einem Abend sprechen Alex und ich darüber. Ich erzähle ihm, dass ich mir ab jetzt einfach fünf Jahre Zeit gebe um es zu lernen. Irgendwie schaut er mich ein wenig erstaunt an. Das scheint ihm zu lange zu sein. Aber was soll ich tun? Ich bin keine 20 mehr, wohne nicht am Meer und habe somit nicht die Möglichkeiten es mal eben so zu lernen. Außerdem fange ich an zu genießen, dass alles so herrlich unperfekt ist und seine Zeit braucht. 

Bisher war es in meinem Leben nämlich oft so, dass ich möglichst schnell zum Erfolg kommen wollte und es immer eilig hatte Dinge zu perfektionieren und zu können. Ich setzte mich da selber sehr gerne unter Druck mit meinem Anspruch an mich. Hier kommt mir nun auf einmal der Gedanke, dass ja der Weg zum Erfolg – also zum ersten gelungen Take Off und irgendwann zur ersten richtig gesurften Welle – dass genau dieser Weg mit all seinen Versuchen mich ja auch schon sehr zufrieden stellen kann.

Diese Bilder sind aus 2023 am Campo Fútbol in Tarifa …

… wow – Weißwassser geht …

… ich bleibe dran!

Ich denke einfach:

»Genieße es, anja. Genieße die Phase des Lernens und lasse dir Zeit. Denn wenn du es kannst sind diese Momente vorbei – dieses Ausprobieren, Scheitern und nochmal Probieren, dieses Herantasten an das Neue, das Kniffelige … wenn du etwas kannst, klar geht es dann immer weiter, aber die ersten Erfolge und das enorme Glücksgefühl dabei sind doch eigentlich am Beeindruckendsten.«

Ich grinse bis über beide Ohren. Das hört sich richtig gut an und ich bin wild entschlossen diese Herangehensweise auf alles Mögliche in einem Leben zur übertragen. Alex erzähle ich, dass ich ab sofort besonderes Ehrenmitglied im »Bad Surfer Club« bin. Schließlich geht es mir nicht darum, ein perfekter Surfer zu werden. Es geht vielmehr darum, Spaß zu haben, im Wasser zu sein, mich auszuprobieren und mit den Wellen, dem Board und allem was ich kann oder eben nicht kann zu spielen. 

Rio Jara Rasta Girl

Nach fast einer Woche wildcampen mieten wir uns dann doch für drei Nächte auf dem Rio Jara ein. Duschen und Haare waschen wäre nämlich toll. Von Wind und Salzwasser sind meine Haare mittlerweile total zerzauselt und verknotet. Noch ein bisschen mehr davon und ich habe auf dem ganzen Kopf Rasta-Locken, aber leider keine schönen. ;-)) 

Auch hier genießen wir das »Unperfekte«: Denn im letzen Herbst ist die Brücke über den Fluß zum Strand eingestürzt und nun gibt es nur noch ein selbstgebautes Floss aus zwei alten Surfbrettern an einer Seilwinde. Es macht super viel Spaß, so über den Fluß zu kommen. Drüben angekommen spüre ich, dass genau dieser Strandabschnitt eigentlich mein liebster ist. Hier ist oft wenig los und der Blick aufs Meer sowie ins Landesinnere ist einfach atemberaubend.  

Das Floss über den Río Jara

Peacebird …

Schon wieder … Sundowner 😉

In der Campingplatz Bar, in der ich vor zwei Jahren so viele tolle Menschen kennengelernt und unendlich gute Gespräche geführt habe, habe ich dieses Mal eine seltsame Begegnung. Es ist kalt an diesem Abend und der Kamin brennt. Für mich ist es hier ein ungeschriebenes Gesetz, dass sich an eben diesen kalten Tagen alle Gäste an den drei kleinen Tischen vorm Kamin zusammensetzen und sich über das warme Feuer freuen. Also frage ich höflich bei einer Frau nach, die alleine an einem der Tische sitzt, ob ich mich dazu setzten kann.

Sie ist mit ihrem Handy beschäftigt und bekommt meine Frage nicht mit, also falte ich nach dem zweiten Nachfragen vorsichtig ihre Decke, auf der sie sitzt, etwas zusammen und setze mich mit gebührendem Abstand neben sie. Als sie das mitbekommt rastet sie total aus und fängt an mich abwechselnd in perfektem Spanisch und Englisch mit sehr britischem Akzent zu beschimpfen, was mir einfällt, ich würde sie zwingen zu rutschen und in ihrem Land würde man fragen, wir Touristen würden uns einiges herausnehmen und so weiter und so fort … Ich erkläre ihr ruhig, dass ich gefragt habe, sie das aber nicht mitbekommen hat, weil sie eine Sprachnachricht abgehört hat. Ich entschuldige mich und sie beschimpft mich weiter, dann setzte ich mich weg.

Da sie überhaupt nicht mehr runter kommt und sich immer weiter aufregt, versuche ich das Gespräch zu beenden und sage ihr, dass ich nicht weiter mit ihr diskutieren möchte, weil ich mich ja bereits entschuldigt habe und weiter nichts tun kann. Demonstrativ zücke ich mein Handy und halte es mir vor die Nase, um ihr zu verdeutlichen, dass ich nicht mehr mit ihr rede.

Die Gäste am Nachbartisch machen sich bereits auf Deutsch über die Situation lustig. Alex und ich setzen uns (mit höflicher Nachfrage!) zu ihnen und führen ein normales Gespräch unter Reisenden … Später sind alle Gäste weg, außer dieser Frau. Sie kommt zu uns an den Tisch fängt an zu weinen und entschuldigt sich für ihre Reaktion, ihre Schwester sei gestorben. Ich stehe auf und möchte sie in den Arm nehmen, um sie zu trösten. Sie wehrt das vehement ab und setzt sich zurück an ihren Tisch.

An der Bar besorge ich ihr ein Wasser, als ich es ihr gebe bedankt sie sich zwar, verzieht aber gleichzeitig das Gesicht und sagt, dass Wasser sei ja »con gas«, also mit Kohlensäure. Okay, sie tut mir Leid, ich möchte ihr etwas Gutes tun und tausche das Wasser an der Bar gegen eines »sin gas« aus. Sie trinkt es dennoch nicht. Irgendwann geht sie. Die unangerührte Wasserflasche nimmt die Kellnerin netterweise zurück und äußert sich noch leicht negativ über die Frau. Sie scheint ihr bekannt zu sein. Ich bin recht ratlos, denn so etwas ist mir noch nie passiert. Mir ist sofort klar gewesen, dass ihre heftige Reaktion nichts mit mir zu tun hat und, dass sie ein größeres Problem haben muss. Was mich aber sehr beschäftigt ist, dass ich nichts falsch gemacht habe, unmöglich behandelt werde und dann komischerweise versuche der Frau zu helfen und Mitleid habe. Mmmhh … Peacebird, was sagt du dazu?

Tarifa ist Mitte März noch im Winterschlaf

Punta Paloma

Wind, Wind & immer noch mehr Wind

Winterschlaf

Alles in allem ist Tarifa zu dieser Jahreszeit noch ein bisschen im Winterschlaf. Viele Bars haben zu und es ist wenig los. Mir gefällt das eigentlich gut. Kleines Manko: mein Lieblings-Chiringuito Agua macht erst kurz vor unserer Abreise auf. Da ist ist dann aber so kalt geworden (ich kaufe mir sogar eine Mütze!), dass die Opening Party sehr klein ausfällt. Wir sind natürlich trotzdem dabei und lernen Lennart aus Lübeck kennen. Er wohnt seit mehreren Wochen in Los Lances mit seinem mega Truck, ist Vollzeit-Vanlifer und ist hier um Kite-Surfen zu lernen. Was sonst? 

Sein Truck ist uns schon aufgefallen, denn auch wir wohnen ja mehrere Tage und immer wieder mal in Los Lances. Wir tauschen Nummern und Insta-Konten aus. Mir gefällt sein Hashtag #einmaltarifaimmertarifa … wie wahr!! Könnte von mir stammen 😉

Un poco loco

Der Wind nimmt in diesen letzten Tagen immer weiter zu und wird unglaublich stark und böig. Wir haben Levante und er zeigt mal so richtig, was er drauf hat. 

Alex geht am ersten Wind-Tag in Valdevaqueros trotzdem raus. Beim Aufpumpen sagt er noch, dass es grenzwertig ist. Er ist dann auch der einzige Kiter dort. Ich scherze noch rum, dass er vielleicht heute seine Rescue-Card nutzen kann und diese nicht umsonst gekauft hat. Zum Starten sucht er sich Hilfe von einem der jungen Surfer, die am Strand sitzen. Der fliegt dabei fast weg. Ich weiß schon, warum ich nicht geholfen habe!

Und es kommt wie es kommen muss, Alex’ Kite hält dem Wind mit seinen extremen Böen nicht stand und geht kaputt. Zwei der Battens (dünne Stäbchen im Kite zur Stabilisierung) brechen und reißen kleine Löcher ins Gewebe. 

Playa Valdevaqueros

Ooops!

Una vez siempre es la primera vez!

Er muss vom Rettungsboot eingesammelt werden. Der Bootsführer begrüßt ihn mit wild rotierendem Zeigefinder an der eigenen Schläfe und den Worten »¿Eres loco?« (Bist du irre?). Ja, auf jeden Fall etwas! Aber Spaß hat’s gemacht.

Alex ist ein bisschen stolz auf seine erste Kerbe in der Rescue-Card. Auch das kommentiert sein »Retter« ziemlich trocken: ¡Siempre una vez es la primera vez! (Einmal ist immer das erste Mal.)

Ich sitze am Strand und beobachte das Ganze mit gemischten Gefühlen. Der Starthelfer kommt zu mir rüber geschlendert und erzählt mir, dass es sicher nur ein Problem mit dem Material gibt. Netter Mensch und schlauer Mensch.

In Tarifa fragen wir uns später am Tag von Surf-Shop zu Surf-Shop durch, wer den Kite schnell reparieren kann und werden tatsächlich fündig, so dass wir uns am Tag darauf auf machen nach Los Caños de Meca, einem unserer Lieblings-Spots. Es ist Freitag, kiten geht hier erst am Samstag.

Kölsch Mädsche

In Caños bekomme ich Überraschungsbesuch von einer ehemaligen Schulkameradin mit Familie, die zufällig am Tag vorher in Tarifa angekommen sind. Wir verbringen einen super lustigen Abend miteinander und den nächsten – dann wieder in Tarifa – direkt auch. Wibke und ich schaffen es, am ersten Abend viel über einen Typen aus unserer Vergangenheit zu sprechen. Reden aber, wie sich später herausstellt, über zwei völlig unterschiedliche Männer. Naja. Spaß haben wir trotzdem oder gerade deswegen. 

Ich finde es total erstaunlich, dass des so viele Menschen gibt, zu denen kannst du jahrelang keinen Kontakt haben und dann, wenn man sich sieht ist man immer noch absolut auf einer Wellenlänge. In unserem Fall liegen 20 Jahre dazwischen. Wir hatten vor kurzem Klassentreffen und haben uns da quasi wiedergefunden (aber nicht nur wir zwei, einige andere auch!). Uns verbindet zusätzlich besonders, dass wir beide »Exil-Kölnerinnen« sind. Unsere Sehnsucht nach dieser Stadt und dem kölschen Lebensgefühl ist ähnlich stark ausgeprägt. 

Los Caños de Meca

Cold Caños

Zwei kölsch Mädsche

Mir fällt auf, dass ich mich vielleicht deswegen so wohl in Tarifa fühle: hier ist es wie in Köln. Du kommst schnell mit Menschen ins Gespräch, alle sind sehr offen, aufgeschlossen und meist sympathisch. Durch die Surfer-Szene hat Tarifa ein enorm internationales und quirliges Flair. Die Stadt hat somit einen ähnlichen Charme wie Köln. Okay, man sagt Stadt – Tarifa ist aber eher ein Dorf. Nach bereits kurzer Zeit dort kennst du viele Leute vom Sehen oder hast mit einigen schon geredet und Kontakte geknüpft. Auch das kenne ich so aus Köln. In deinem Veedel findest du schnell Freunde und erlebst fast schon einen »dörflichen« Zusammenhalt. Du gehörst schnell dazu und wirst mit offenen Armen empfangen – hier in Tarifa, genauso wie in Köln. Was gibt es da noch zu sagen? I’m loving it!

Blick aus dem »Wohnzimmer«

Pimientos de Padron vom Grill

Im Café Del Mar mal kurz ein Angebot schreiben

Und sonst?

Ja und sonst gäbe es noch tausend Dinge zu erzählen wie z.B., dass wir die Weltbeste Paella essen, dass wir oft unglaublich leckeres und super schlichtes Barbecue auf unserem kleinen Grill zaubern (mein Favorit: Brot mit Olivenöl, Salz und Chiliflocken mal kurz angeröstet, dazu Pimientos de Padron!), dass wir verwahrlosen und uns darüber freuen, dass wir x Sonnenuntergänge bewundern, immer draußen sind, uns immer freier fühlen, lachen, Spaß haben und genießen und – super wichtig für mich – dass das hier kein Urlaub im herkömmlichen Sinne ist sondern ein Lebensgefühl, welches ich am liebsten immer haben möchte. Aber das weißt du ja schon, wenn du meinen Blog gelesen hast. Also vielen Dank für dein Interesse. Bald gibt es mehr.