Die Empfehlung des Platzwartes

bis andalusien

Sturm im Paradies und der totale Flow

Über Peníscola und am Tag darauf an Valencia vorbei fahre ich weiter nach Süden. Da es eigentlich dauerregnet schlafe ich zwei Nächte äußerst gut und wirklich bequem auf der Rückbank. Bei der Kälte, der Nässe und dem Wind möchte ich nicht oben im Dach von Bo schlafen. 

Auf dem Weg nach Peníscola spreche ich an einer Tankstelle einen Typen aus Hamburg an. Er kommt ursprünglich aus Bayern. Wir kommen ins Gespräch, weil ich ihm, nach meinem Blick auf sein Nummernschild, ein fröhliches »Moin« zurufe. Interessant finde ich, dass er mir erzählt, dass er aktuell auf dem Weg nach Málaga ist um einen Bulli oder Bauwagen auszubauen und dann beim nächsten Mal ganz hier bleiben möchte, irgendwo in den Bergen vor Granada. Weil es dort einen Ort gibt, der ihn nicht mehr loslässt. Wie gut ich ihn verstehen kann. Andalusien läßt mich irgendwie auch nicht mehr los.

Bei Valencia mache ich eine ausgedehnte Pause in einem Naturschutzgebiet am Strand. Es gibt Dünen und wieder jede Menge Wellen – es sieht ein wenig aus wie auf Sylt. Danach führt mich der Weg schnurgerade an eben diesem Naturschutzgebiet auf der linken und Reisfeldern – für den leckeren Paella-Reis – auf der rechten Seite vorbei. 

Ich finde einen Womo-Stellplatz irgendwo zwischen Valencia und Alicante. Von dort aus will ich es am nächsten Tag wirklich bis Andalusien schaffen. Mit dem Platzwart quatsche ich über Wein und kaufe direkt eine Flasche bei ihm von einem Winzer in der Nähe. Morgens spreche ich mit einem netten deutschen Paar. Wir reden über den Ukraine und den Jugoslawien Krieg, darüber, dass wir Frauen uns oft zu viel um alle um uns herum kümmern, und dass man nur einmal lebt und dies nutzen sollte. Die Frau sagt einen entscheidende Satz zu mir: »Das Glück ist jetzt und nicht morgen!« Wie wahr!

Sturm im Paradies

Die Fahrt führt die meiste Zeit über die A-7 die Autovía del Mediterráneo. Ich fahre an Benidorm und Alicante vorbei. Es regnet teilweise so stark, dass ich nur sehr langsam weiter komme. Benidorm mit seinen Hochhäusern sieht von der Autobahn aus sehr hässlich aus. Alicante ist riesig, das war mir nicht bewußt.

Während ich weiter durch die bergige Küstenregion fahre stellt sich bei mir irgendwann eine absolute innere Ruhe ein. Ich fahre schon die ganze Zeit über nur 90 bis 97 km/h. Diese Reisegeschwindigkeit habe ich total schätzen gelernt. So komme ich entspannt voran und kann mir ein bisschen die Umgebung angucken. Ich fahre ohne Stress immer weiter. Es sieht aus, als hätte jemand Sand- oder Sandstein-Kegel mit unterschiedlich grün-farbigen Tupfen, je nach Bewuchs, in die Landschaft gesetzt. Es regnet und regnet und regnet. Ich fahre vorbei an Orangen- und Olivenplantagen, überall trotzen die Palmen dem starken Wind. Dieses Bild erinnert mich unglaublich an die Fernseh-Bilder der Hurrikan-Saison in Puerto Rico. Gebeugte Palmen im Regen und Wind – das Paradies im Sturm. Eigentlich ist Regen eine tolle Sache, wenn es nach einem richtigen Regenguss ein wenig aufklart, dann hat alles durch dieses magische Licht viel sattere Farben als sonst. Zwischendurch denke ich daran, dass ich einfach weiterfahren sollte, immer weiter nach Süden. Wenn es etwas wie Food-Porn gibt, dann ist diese Landschaft ein View-Porn. Ich kann mich gar nicht satt sehen und bin wie im Flow. Zu den Klängen von Mazde passiere ich die Grenze nach Andalusien. Hier sind die Berge etwas sanfter, nicht mehr so kegelig und der Fels hat eine rot-braunere Farbe. Die grünen Tupfen bleiben. Ich denke an verflossene Liebschaften, an Freunde, an mein Leben, an meine Familie. Ich frage mich, welchen Grund es geben sollte nach ein paar Wochen wieder zurück zu fahren und freue mich darüber all dies hier gesehen und erfahren zu haben. Das kann mir niemand mehr nehmen. Es sind nun meine Erinnerungen, meine inneren Bilder. Ich denke darüber nach, warum ich solche Reisen so entspannend finde. Dieses unterwegs sein, wie jetzt im Bulli oder mit Rucksack und alles dabei zu haben, was du brauchst, heute nicht zu wissen wo du morgen sein wirst. Das ist etwas, was mich unglaublich glücklich macht. Die dabei entstehende Einfachheit des Lebens. Alles ist dabei ohne Schnick und Schnack. Einfach nur simpel. Du musst flexibel sein und improvisieren können. Du reist immer weiter und läßt jedes Mal etwas hinter dir. Ich finde, du lernst loszulassen, und dass die Dinge nicht perfekt sein müssen, denn du gehst ja weiter. Du kommst nämlich nicht irgendwo an, wo es paradiesisch sein muss, damit du dich erholen kannst. Nein, du bist am nächsten Tag schon wieder an dem nächsten Ort mit tollen Menschen, Eindrücken, Landschaften und Erfahrungen.

Playas de Vera

Meine Mutter hat mir einmal von der Tochter einer Freundin erzählt, die mit dem Rucksack durch vielleicht Südamerika gereist ist. Ich weiß nicht mehr, wie alt ich war, als meine Mutter mir das erzählte. Aber ich weiß noch, wie sehr mich das beeindruckt hat, dass es eine solche Art zu reisen gibt. Letztlich haben mir meine reiselustigen Eltern das Reisen beigebracht. Sie selbst waren schon viel in der Welt unterwegs. Sie haben dafür gesorgt, dass ich ab der 5. bis zur 11.  oder 12. Klasse jedes Jahr mit einer Jugendgruppe in den Sommerferien weg war. Heimweh kannte ich nicht. Ich war immer begeistert in einem anderen Land zu sein, neue Leute und andere Kulturen kennenzulernen. Natürlich waren auch einige Party-Reisen dabei. Dennoch hat mich das andere Land mit seinen Menschen immer interessiert. Als Studentin habe ich dann angefangen Rucksack-Reisen zu machen. Ich fühle mich unterwegs einfach frei und bei mir angekommen. Dieses Mal ist es jedoch anders, denn ich bin alleine unterwegs. Alle Eindrücke und Begegnungen sind dadurch nochmals nachhaltiger. Alle Gespräche, die ich mit anderen führe empfinde ich als sehr nah und intensiv. Ich bin natürlich auch viel mit meinen Gedanken alleine, rede mit den Hunden, singe oder summe vor mich hin oder überlege mir Sätze auf Spanisch. Langweilen oder mich einsam fühlen tue ich nicht. Das hätte ich von mir selber nicht gedacht. Ich hätte nicht gedacht, dass ich so gut alleine sein kann. Wobei ich mittlerweile denke, dass ich das schon immer gut konnte nur zwischenzeitlich vergessen hatte, dass dies so ist.

Oase für Campervans

Nach dieser sehr beeindruckenden Fahrt komme ich auf einem wunderschön gelegenen Camper-Park unter. Vorher, am Nachmittag, habe ich einen Platz am Meer an den Playas del Vera gesucht. Aber es war direkt am Strand, verboten zu übernachten. Nachdem die Polizei an mir vorbei gefahren ist habe ich mich auf die Suche nach etwas anderem gemacht und es ist dort bei einen Spaziergang und Picknick geblieben. Gott sei Dank, denn hier ist es wunderschön! Ich sitze bei Dämmerung neben Bo, auf meiner Bulli Bar steht das Sonnenlicht und ich trinke aus diesem süßen kleinen mallorquinischen Tonbecher Tinto. Was will ich eigentlich mehr?

Es fängt an zu tröpfeln und es ist gleich kurz nach acht und nun schon beachtlich dunkel. Es wird Zeit für mich, ins Bett zu gehen. Ich kuschle mich in den warmen Schlafsack oben im Dach von Bo (Mit der Fleece-Decke im Schlafsack, statt darüber! Danke lieber B., für den Tipp!) und schlafe zu einem Quak-Konzert von etlichen Fröschen ein. Mein letzter Gedanke ist, eine Gedichtzeile von Eichendorff: »Und meine Seele spannte weit ihre Flügel aus, flog durch die stillen Lande, als flöge sie nach Haus.« Wie passend für meine Gefühlswelt heute bei meinem quasi Landeanflug auf Andalusien.