Silvaplana Kiter’s Paradise
Magie des Zufalls
Italien – Schweiz – Österreich
An einem Sonntag, genau vier Wochen nach Mila’s Tod, fahren Moby, Bo und ich wieder los. Wir wollen erst zu Alex nach Vorarlberg, um dann gemeinsam nach Italien zu fahren. Das Ziel dort soll Talamone sein, ein hübsches Städtchen in der Toskana mit einem top Kitesurf-Spot. Auch dieses Mal kommt es anders und wir schmeißen unseren Plan nicht nur einmal um.
Die erste Planänderung bringe ich ins Spiel, denn auf einmal ist es mir zu weit nach Talamone für nur eine Woche Zeit vor Ort. Mir ist es zu weit – der Frau, die nie und nimmer weit genug reisen kann und immer unterwegs sein möchte, ist es zu weit? Ja, denn dieses Mal ist es anders.
Ich hatte eine super stressige Zeit bis zur Abreise. Da war zum einen der tragische Tod meiner Hündin und die damit einhergehende Erschütterung in uns allen und zum anderen hatte ich kurzfristig noch einen Termin bei meinen Eltern mit dem Medizinischen Dienst um eine Pflegestufe für meine Mutter zu beantragen, deren Demenz leider immer weiter fortschreitet. Beides zusammen hat mich ein wenig – ich nenne es mal: »aus der Bahn geworfen«.
Moorsee bei St. Moritz im letzten Jahr
In Österreich bin ich anfangs sehr müde und etwas erschöpft. Wir fahren dann statt nach Talamone nach Dervio am Comer See, auch dort hält meine Erschöpfung noch an. Nichtsdestotrotz haben wir eine super schöne Zeit.
Wir machen bei der Anreise eine Zwischenübernachtung an unserem altbekannten Moor-See in der Schweiz zwischen St. Moritz und Maloja Pass. Es hat geregnet und die über 30° Grad, die wir bei Abreise in Vorarlberg hatten, kühlen sich je höher wir kommen bis auf 5° Grad in der Nacht ab. Auf solche Temperaturen sind wir überhaupt nicht eingestellt, denn in den letzen Wochen war es jeden Tag brütend heiß. Also machen wir ein Feuer an einer der Feuerstellen am See und packen uns in alles ein, was geht: lange Hose, Shirt, Hoody, Regenjacke sowie Fleecedecken.
So sitzen wir nah am Feuer auf einer klitschnassen Holzbank mit meinen neuen Outdoor-Kissen unter unseren Hintern, teilen uns das letzte Stück Baguette mit Salami, trinken Rotwein und reden über das Leben mit seinen Höhen und meinen ganz aktuellen Tiefen. Je länger wir dort sitzen desto mehr entspanne ich mich. Wir schauen hoch in den tiefschwarzen Himmel mit seinen Milliarden hell funkelnden Sternen. Ich entspanne noch mehr.
Silvaplana See
Mir fällt wieder einmal auf, wie gerne ich genau so etwas tue und wie gerne ich draußen in der Natur bin. Uns ist kalt, es ist alles naß, das Feuer qualmt uns ein, wir haben eigentlich viel zu wenig zu Essen dabei und ich bin trotzdem super glücklich. Moby streift ein bisschen im Dunklen umher, sucht aber sehr bald unsere Nähe.
Irgendwann wird es uns doch zu kühl und wir trollen uns in Bo und verbringen eine sehr unruhige und kalte Nacht im Aufstelldach. Am nächsten Tag fahren wir zum Silvaplana See, ich arbeite auf der Terrasse des Restaurants Mulets und Alex geht Kitesurfen. Am Abend fahren wir weiter Richtung Comer See.
Abendstimmung in Dervio
Am Comer See angekommen warten wir auf den Wind. Der Campingplatz in Dervio ist der Hammer. Zufällig bekommen wir einen Stellplatz in zweiter Reihe mit Blick auf den See. Und genauso zufällig bekommen wir am zweiten Tag Nachbarn aus Litauen. Ein junges Paar, das ebenfalls mit einem Bulli unterwegs ist. Er arbeitete remote, sie gar nicht mehr und sie reisen seit fast einem Jahr durch Europa.
Wir unterhalten uns immer mal wieder kurz mit den beiden auf Englisch. Bei einem dieser Gespräche stellt sich heraus, dass sie gerade aus Tarifa kommen. Sie waren dort drei Monate lang und sind ziemlich direkt hierher gekommen. Wir erzählen davon, dass wir auch dieses Jahr schon dort waren (und letztes!) – irgendwie macht es Klick bei ihm, ich kann es in seinen Augen sehen während er redet – und er ist sich sicher, dass er uns daher kennt. Was für ein Zufall! Wir stehen hier in Dervio auf einem Campingplatz nebeneinander und er hat uns in Tarifa bzw. Valdevaqueros am Strand gesehen und sich unsere Gesichter gemerkt.
Ich bin etwas baff. Eigentlich wollten wir gar nicht hier sein. Eigentlich wollten wir nach Talamone. Dann nach Dongo hier am See und eher zufällig sind wir hier auf diesem Campingplatz gelandet ohne es vorher geplant zu haben. Wow!
My office at Lago di Como 😉
Da es super heiß sowie schwül am See ist, es uns viel zu voll ist und der Wind Zicken macht beschließen wir genauso spontan, wieder in die Schweiz an den Silvaplana See zu fahren. Kurz vor der Abreise unterhalten ich mich nochmals mit der Frau aus Litauen.
Sie wollen im August wieder für mehrere Wochen nach Tarifa fahren und wir »verabreden« uns quasi dort. Ich plane ja ebenfalls im Herbst wieder dort zu sein. Wir tauschen uns über unsere »Tarifa Lover«-Gefühle aus, daß es sich dort anfühlt wie ankommen und zu Hause sein, weil die Menschen wahnsinnig aufgeschlossen sind, die Natur bombastisch ist und es einfach nur entspannt und schön dort ist. Ich bin begeistert über soviel Zufall und frage mich, was das listige Universum mir da eigentlich mal wieder vor die Füße wirft.
Sundowner am Silvaplanasee kurz vor dem Gewitter
Am Silvaplana See ist ebenfalls heiß, aber es gibt Wind. Am letzen Abend kommt eine Gewitter Front über die Berge gerollt und sorgt für ein unbeschreibliches Naturschauspiel. Der grollende und sehr laute Donner wird von hellen Blitzen am schwarzen Nachhimmel, die über die Berggipfel zucken, begleitet. Ich habe noch nie ein solch starkes Gewitter in den Bergen erlebt. Manchmal schaffen es die Blitze nicht bis über die Gipfel und sorgen dann für spektakuläres Wetterleuchten hinter den Bergen. Wir können uns gar nicht satt sehen an dieser Szenerie, gehen aber dennoch irgendwann ins Bett.
Es gewittert die ganze Nacht und in den frühen Morgenstunden hagelt es auch noch. Etwas übernächtigt reisen wir am nächsten morgen ab und fahren zurück nach Hohenems.
Gsohl – so fantastisch!
Dort verbringe ich dann noch weitere 1,5 Wochen. Wir wandern viel, aber meist erst spät nachmittags, da es immer noch sehr heiß ist. Nach einer Wanderung auf eine Alm nimmt uns der ehemalige Hüttenwirt auf der Plattform hinten an seinem Trecker wieder mit ins Tal, die eigentlich für Milchkannen bestimmt ist. Wir rumpeln über Stock und Stein den steilen Weg herunter, müssen uns sehr gut festhalten und haben einen unglaublichen Spaß dabei.
Willkommen auf der Soundterrasse Niggenkopf
Am letzen Samstag vor meiner Heimfahrt wandern wir im Brandnertal zur Soundterasse Niggenkopf, einer sehr lässigen Hütte mit einem super coolen Betreiberpaar mit dem wir uns sehr ungezwungen übers Surfen und Reisen unterhalten. Die beiden sind, wenn sie nicht ihre Hütte betreiben, gerne in der Welt unterwegs. Er war gerade für ein paar Wochen in Südamerika. Was für ein traumhaftes Leben!
Unsere Anfahrt nach Brand ist etwas chaotisch. Wir sind erst mit dem falschen Bulli losgefahren (ich habe keine Vignette für Österreich) und dann hat Alex beim Autoschlüsseltausch noch seine Sonnenbrille im Haus vergessen, so dass wir zwei Mal umkehren müssen. Da es nun schon recht spät am Nachmittag ist, sparen wir uns einen Teil es Weges und nehmen die Gondel.
Blick von der Soundterrasse
Kurz nach dem Austieg aus der Gondel geht es direkt steil hoch. Uns kommen ein paar Wanderer entgegen. Ich schaue diese erste Anhöhe hoch und sehe uns ein Pärchen mit Hund entgegen kommen und kann es kaum glauben. Zu Alex sage ich: »Schau mal, da kommt Mila.« Er guckt sich den Hund an, der da von oben auf uns zukommt und sagt erst: »Nee, Quatsch.«, bekommt dann aber genauso wie ich immer größere Augen. Dieser Hund ist absolut Milas Ebenbild. Je näher sie kommen, desto mehr erkennen wir unsere süße Mila in ihm. Ich spreche das Paar natürlich an und frage die beiden woher ihr Hund stammt.
Juna – Mila’s Ebenbild
Sie haben die Hündin mit Namen Juna aus dem Tierheim in Düsseldorf. Dort hieß sie Sugar und ist im Dezember ausgesetzt worden und dann im Tierheim gelandet. Das Paar hat sie seit April diesen Jahres. Ich bin sicher, dass Juna eine Schwester von Mila ist oder zumindest die Tochter eines Geschwisters. So viel Ähnlichkeit, ist ansonsten nicht zu erklären. Juna schaut genauso aus wie Mila, sie hat den gleichen Blick, bewegt sich identisch, hat das gleiche kunterbunt gemixte Fell und macht die gleichen lustigen Bewegungen mit ihrem Ohren, die Moby gar nicht kann.
Ich erzähle dem Pärchen von Mila, ihrem Tod und zeige Videos und Fotos. Sie sind genauso erstaunt über die Ähnlichkeit der beiden Hündinnen wie wir. Juna knuddel ich währenddessen die ganze Zeit durch. Sie ist ein bisschen kleiner als Mila und ihre Rute ist kurz.
Mit dem Mann tausche ich Telefonnummern aus, da er mehr über seine Hündin und ihre Herkunft wissen möchte und wir uns gegenseitig noch weitere Fotos schicken möchten. Wir verabschieden uns von den dreien und für mich ist diese Begegnung so, als ob ich mich von meiner Mila verabschieden kann, die ich ja drei Wochen nicht gesehen hatte, weil ich auf Reisen war und dann war sie einfach von jetzt auf gleich tot. Mir kommt der sehr zufriedenstellende Gedanke, dass sie irgendwie in dieser Hündin weiterlebt.
Und schon wieder wundere ich mich über die Listigkeit des Zufalls und des Universums: denn, wenn wir nicht das falsche Auto genommen hätten, Alex nicht seine Sonnenbrille vergessen hätte und wir deswegen nicht die Gondel genommen hätten, dann wären wir Juna und ihrem Frauchen und Herrchen nicht begegnet. Danke, lieber Zufall für soviel magische Momente!