Endlich wieder Wasser in der Lagune am Río Jara

Wellen

Tarifa

Die Zeit geht einfach so vorbei. Ich kann gar nicht mehr sagen wie lange ich eigentlich schon in Tarifa bin. Wieder mal habe ich sehr nette und interessante Menschen getroffen. Z.B. die zwei Brüder aus Leipzig, die für ein paar Tage meine Nachbarn sind und mit denen ich unglaublich lustige und intensive Stunden verbringe mit vielen tollen und offenen Gesprächen. Einer der beiden (Alex!!! Schon wieder ein Alex!) wohnt seit ein paar Jahren in Málaga und erklärt mir gerne, was zu tun ist, wenn man als Deutsche in Spanien ansässig werden möchte.

Für ein paar Tage kommen Captain Jack, der ehemalige Arzt aus Stuttgart, mit Frau und Hunden vorbei. Sie sind auf dem Weg nach Portugal.

Bald darauf lerne ich ein Paar aus Vorarlberg kennen und am zweiten Tag merken wir, dass sie natürlich auch meinen Ex-Freund kennen (so viele Kite Surfer gibt es dann doch nicht am Bodensee, dass man sich eben nicht kennt!). Ich liebe ihre direkte Art und ihren Dialekt. Alles, was sie von zu Hause erzählen, also Orte, Kletterhalle, Almen, Restaurants etc., kenne ich ja nur zu gut aus den letzen 2,5 Jahren. Auch sie wollen in ein paar Jahren aufhören zu arbeiten und mehr reisen, mehr unterwegs sein. 

Alienschleim!

Ansonsten entdecke ich meine Liebe für die Waves Bar, das zweite Chiringuito am Playa de los Lances, lerne im Agua ein paar nette deutsche Kite-Surfer kennen, einen völlig duschgeknallten Nordspanier und leider verbrenne ich mich ganz furchtbar mit kochend heißem Kaffee am linken Oberschenkel.

Antonio vom Campingplatz versorgt mich fast väterlich mit frischer Aloe Vera und fragt mich jeden Tag nach dem Heilungsprozess der wirklich krassen Brandwunde. Dank der Aloe verläuft alles unglaublich gut und problemlos. Eine fette Narbe werde ich dennoch behalten. Nachteil des Pflanzensaftes der frisch angeschnittenen Aloe: er ist neongrün und stinkt nach Schweiß – also nichts anderes als widerlicher Alienschleim 😉

Nun brauche ich nur noch eine gute Geschichte, wo die Narbe herstammt … ich dachte an eine Stachel-Rochen-Attacke beim Schnorcheln auf … sagen wir mal Bali … oder so. Was meinst du?

Cataplana

Sagres

Es leert sich immer weiter auf dem Río Jara und das Wetter schlägt um. Weil die Ausläufer eines Hurrikans hier ankommen ziehe ich zum zweiten Mal auf dem Platz um – an eine windstillere Ecke. Es soll die nächsten Tage viel regnen und so beschließe ich an einem Donnerstag Abend super spontan meine Zelte abzubauen und nach Portugal zu fahren. Dort warten meine Freunde auf mich (Captain Jack und Frau) und sind super glücklich über meine Nachricht, dass ich nun doch komme, um ein paar Tage in Sagres zu bleiben.

Aus den paar Tagen wir dann fast eine ganze Woche. Ich fahre über Sevilla Richtung Huelva, übernachte in Isla Cristina und bin hier schon sehr nah an der portugiesischen Grenze. Als ich dann am nächsten Tag tatsächlich auf der Autobahnbrüche über den Fluss Guadiana die Grenze überquere, jubele ich ausgelassen! Endlich habe ich es geschafft nach Portugal zu fahren! Ich will das seit drei Jahren machen! Mir kommen ein bisschen die Tränen vor Freude und ich bin super stolz auf mich, so weit gekommen zu sein. Alleine. Mit Karl und Bo. Nur wir drei. Das neue Team.

Die Hunde am Amado Beach

In Sagres werde ich schon erwartet und wir haben eine fantastische Zeit miteinander. Leider spielt das Wetter nicht ganz mit, denn auch hier kommt der Hurrikane mit recht viel Regen an.

Meine Freunde kommen seit 17 Jahren her, kennen auf dem Campingplatz jeden und in Carrapateira, wo wir oft hinfahren, haben sie portugiesische Freunde. Ich esse dort meine erste Cataplana, das ist ein traditioneller Fischeintopf bzw. in meinem Fall Meeresfrüchte-Eintopf. Gekocht und serviert wird das Ganze in einer Kupferbowl mit Deckel. Ganz ehrlich: das ist fast das Beste, was ich jemals gegessen habe. (Danke an Gustavo und Frau!)

Wir lernen auf dem Campingplatz ein Schweizer Paar mit Hund kennen und auch sie sind vom Zauber Sagres’ und Carrapateiras völlig eingenommen. Die Hunde tollen gemeinsam am Strand herum. Karl ist mittlerweile in der Gesellschaft anderer Hunde eine richtige Wasserratte geworden. Er läuft und springt in kleine Wellen, als hätte er nie etwas anderes gemacht und das, obwohl er anfangs etwas ängstlich war, was das Meer angeht.

Praia do Tunel in Sagres

Mein Kumpel aus Stuttgart und ich nennen Sagres »Lost City«, denn genauso sieht es aus. Das muss man mögen. Es ist nicht lieblich, niedlich sondern sehr einfach und anders, aber irgendwie extrem cool.

Wir sind hier am vermeintlichen Ende der Welt und genauso sieht es aus. Bis zum Fort gibt es diese schnurgerade und leicht ramponierte Straße, die durch die Ortsmitte durchführt. Die Häuser, die sich an sie reihen, sind eher klein und oft etwas, ich nenne es mal: rustikal. Damit meine ich einen eher angegriffen Zustand, der sicherlich von der salzhaltigen Luft herrührt. Schließlich befinden wir uns hier auf einer Landzunge und somit mitten im Atlantik. Das merke ich auch ganz deutlich an meinem Sachen. Alles fühlt sich etwas klamm und seifig an. Ich höre nachts die Brandung gegen die Felsen schlagen und kann nicht sagen aus welcher Richtung das Geräusch kommt.

Der Campingplatz liegt in einem kleinen Pinienwald etwas ausserhalb der Stadt. Rote Erde, der Wechsel von Sonne und Wolken sowie einige wilde, teilweise blühende, Kakteen zaubern mir bei jedem Hunde-Spaziergang aussen um den Platz ein Lächeln ins Gesicht. Dieses Naturschauspiel ist wunderschön. Die regennasse Landschaft hat ihren ganz eigenen Geruch und Charme. Alles wirkt viel farbintensiver. Es war sehr trocken in der letzen Zeit und wir glauben sehen zu können, wie neben den verdorrten Sträuchern und Gräsern kleine grüne Pflänzchen zaghaft beginnen zu sprießen.

Praia do Amado

Captain Jack und ich beobachten abends vor meinem Bulli regengeschützt unter der Markise sitzend die Neuankömmlinge auf dem Campingplatz. Wir haben einen unglaublichen Spaß dabei, die teilweise sehr umständlichen Einpark-Versuche der Campervans und Wohnmobile zu beobachten. Nebenbei halten wir Ausschau nach einem netten Surfer-Boy für mich., der natürlich nicht auftaucht.

Kurz vor meiner Abreise stelle ich fest, dass zufälligerweise nette alte Freunde aus dem Rheinland in Luz bei Lagos, ca. 30 km entfernt von Sagres, ein Haus für eine Woche lang gemietet haben. Sie sind dort zusammen mit ihrem jüngsten Sohn und der 90jährigen Oma. Spontan treffen wir uns für 1,5 Tage.

Ich darf vor ihrem Haus parken, ihre Dusche benutzen sowie in den Pool hüpfen. Wir gehen Tapas essen und verbringen einen wunderschönen Abend miteinander, den wir auf der Terrasse mit Weißwein, Bier und guten sowie langen Gesprächen ausklingen lassen. Ich bin sehr beeindruckt von der Oma. Sie ist 90 Jahre alt und körperlich wie geistig mehr als fit. Bitte, das möchte ich auch für mich und mein Leben so haben und gerne auch bis 98 Jahre!!!!

Am nächsten Tag trete ich dann nach dem Frühstück die Heimfahrt an. Vor mir liegen mehr als 2500 km Weg. Ich habe ein bisschen Respekt davor. Das muss ich aber nicht haben, denn es klappt alles bestens und das weiß ich schon in dem Moment, als ich einsteige und den Motor von Bo starte.

Luz bei Lagos

Durch den Norden Portugals fahre ich Richtung Salamanca. Dort möchte ich mir dieses Mal wirklich die Stadt angucken. Aber Salamanca und ich – das funktioniert nicht.

Nach meiner Zwischenübernachtung in der Nähe der Stadt fahre ich vormittags los und ich bin schon an der Universität angelangt und möchte gerade in die Straße zu meinem Parkplatz abbiegen, als es unglaublich zu regnen anfängt. Ich muss lachen, zucke mit den Schultern und denke nur: »Dann eben nicht. Das soll hier wohl nicht sein.« Also tippe ich bei Googel Maps Capbreton ein und wünsche mir zumindest einen Mercadona auf dem Weg zur Autobahn, um noch letzte feine spanische Lebensmittel einkaufen zu können. Kaum gedacht, zack Wunsch erfüllt! Der Mercadona liegt genau am Kreisverkehr von dem aus es für mich auf die Autobahn geht. Okay, man muss es einfach alles nehmen wie es kommt und nicht weiter darüber nachdenken.

Leuchtturm von Capbreton

Capbreton

Ursprünglich wollte ich mir die Bardenas Reales anschauen auf dem Rückweg. Es zieht mich aber ans Meer. Ich bin sechs Wochen unterwegs und bin davon an sechs Abenden ohne das Geräusch von Wellen eingeschlafen. Ich habe also in nur sechs Nächten NICHT am Meer geparkt. Meine vorletzte Nacht auf der Rückfahrt will ich also ganz, ganz unbedingt auch am Meer verbringen. Eher zufällig lande ich auf einem Campingplatz in Capbreton.

Eigentlich will ich den Stellplatz hinter der Düne, den ich von meiner Anreise her kenne, wieder ansteuern. Nachts bin ich dann aber froh, dass ich dort nicht stehe. Ich hätte vor Aufregung wahrscheinlich kein Auge zu gemacht, denn es ist eine schwere Flutwarnung angekündigt mit Gefahr für Gut und Leben. Ich weiß das auch schon auf der Fahrt Richtung Capbreton und denke noch »Och, das wird schon nicht so schlimm.« Als ich es dann aber im Hafen sehe bin ich recht beeindruckt und es ist noch nichteinmal High Tide.

Die Wellen sind sehr groß und sehr wild. Sie drücken komplett in die Hafenzufahrt und schwappen bereits auf die Promenade über. In den Straßen um den Hafen herum positionieren sich einige Einsatzfahrzeuge. Dennoch sind ein paar Surfer draußen. Ich schaue mir dieses Spektakel des Meeres eine ganze Weile lang fasziniert an.

Hafeneinfahrt Capbreton

Ich bin genau hier an einem Ort meiner Kindheit. Es ist nicht einfach irgendein Ort, sondern einer, der mich nicht loslässt. Warum kann ich nicht genau sagen, aber es fühlt sich so an, als hätten wir hier endlose Sommer verbracht und ich konnte vielleicht schon früh spüren, dass mich diese Art von Landschaft einfach sehr berührt. Pinien, große Sandstrände und die Wildheit des Atlantiks.

Wie übermächtig groß müssen mir damals als kleines Mädchen die Wellen erschienen sein. Ich weiß, dass mich das zutiefst beeindruckt haben muss, denn ich träume schon mein Leben lang den gleichen Traum – nämlich: dass immer größer werdende Wellen den Strand und das kleine Städtchen, in dem ich mich befinde, immer mehr überspülen und eine immer enormere Kraft entwicklen. Bevor das passiert verlasse ich selbst in diesem Traum oft den Strand und versuche andere Menschen noch zu warnen, es will aber meist keiner auf mich hören. Manchmal bin ich auch im Wasser und sehe dann zu, dass ich an Land komme nachdem ich ein paar mal auf einer Welle »gebodysurft« bin und ihre unkontrollierbare Kraft gespürt habe mit dem Wissen, dass diese noch zunehmen wird.

Hafen von Capbreton mit Appartementhäusern

Das ist nicht alles, was mich hier nicht loslässt. Wir haben bei einem dieser Urlaube in dieser Gegend, genau hier, in einem der Appartementhäuser im Segeljachthafen von Capbreton, gewohnt. Die Häuser kann ich sogar heute noch eindeutig erkennen.

Ich kann mich an den Blick auf die Segelschiffe im Hafen und an das Klackern der Masten, wenn der Wind an ihnen zauste, erinnern. Ich kann mich genauso gut an die Wohnung sowie den Hausflur erinnern. Die Dunkelheit im Flur und der Aufzug machten mir ein wenig Beklemmungen. In der Wohnung allerdings war es auch nicht viel besser. Die Essecke lag auf einer Art Podest. Jedenfalls mussten wir ein paar offene Holzstufen hoch gehen. Ein Geländer aus groben, kratzigen Tauen, wie bei der Schiffsfahrt eingesetzt, gab es auch. Beides machte mir aus irgendeinem unerfindlichen Grund Angst. Meine Eltern mussten mir anfangs gut zu reden, mich dort hoch zu trauen. Es ist so, als wäre dies das erste Mal von bewusster Angst für mich gewesen. Aber vielleicht ist es auch einfach nur so, dass ab diesem Zeitpunkt meine Kindheitserinnerungen klarer und genauer werden. Ich glaube, ich war damals ca. fünf Jahre alt.

Bye bye, dear Ocean …

Nun stehe ich also hier in Capbreton, habe dieses Haus im Hafen im Rücken hinter mir und die beeindruckende Macht der Wellen vor mir.

Irgendwann kann ich mich doch von dem tosendem Schauspiel lösen und schlendere zurück in den Hafen, setzte mich dort in eine Bar genau gegenüber eben jenes Appartmenthauses aus meiner Kindheit. Es läuft von Dennis Lloyd der Song »Nevermind«, der mich schon seit Jahren in wichtigen Situatioen begleitet. Für mich fühlt es sich in diesem Moment so an, als würde sich ein Kreis in meinem Leben schließen.

Danke an diese Reise, die mich an diesen Ort zu genau diesem Zeitpunkt geführt hat. Was für ein schöner Zufall.