Karl ist bei dieser Reise zum ersten Mal am Meer

Planänderung

Südfrankreich, Nordspanien … oder doch Portugal und Tarifa?

Wie war er eigentlich noch, mein ganz ursprünglicher Plan für diesen Herbst? Ich wollte endlich die Portugal und Andalusien Tour für zwei bis drei Monate machen und am 15. September losfahren. Das war der Plan – dann kam alles anders. 

Nun sitze ich eine Woche früher als gedacht im Bulli und fahre Richtung Köln. Während ich den Motor starte und losfahre denke ich schon »Wow! Was für eine Reise!«. Damit meine ich aber nicht die, die vor mir liegt sondern die, die hinter mir liegt. Ich meine die letzten sechs Monate – nein, eigentlich die letzen drei Jahre. In den vergangenen sechs Monaten ist schon alleine so viel passiert, dass ich kaum Luft holen konnte. 

Wir waren in Tarifa, Alex und ich. Vorher musste mir eine Gewebeprobe aus der rechten Brust entnommen werden. Mein Arzt hatte etwas bei der Mammographie gesehen, was ihm nicht gefiel. Es war aber alles gut, ich sollte nur engmaschiger kontrolliert werden, das nächste mal in sechs Monaten. Dennoch brachte mich das zum Nachdenken und ich begann mir die Frage zu stellen, ob ich in diesem Vollgas-Lebens-Tempo weitermachen will. 

In der Nähe von Orléans

Wieder zu Hause angekommen, rutschte ich in die totale Katastrophe und begleitete meinen Hund Moby, der schwer an Lymphdrüsenkrebs erkrankt war, zwei Wochen lang bis zu seinem Tode. Danach wurde ich erstmal selber sehr krank. Rappelte mich aber irgendwie auf und verbrachte ein paar Wochen bei Alex in Österreich und zweimal in dieser Zeit ein paar Tage lang am Comer See.

Ich bemühte mich gute Miene zu machen, war aber sehr angeschlagen. Müde, durcheinander und verunsichert. Ich fing an, meine Jungs und mein Haus zu vermissen. Es stresste mich zum ersten Mal, so zwischen den Welten zu leben und weder bei Alex noch bei mir so richtig zu Hause zu sein. Ich reiste mit gemischten Gefühlen ab und hatte das dumpfe Gefühl, eventuell nicht wieder zu kommen. Genauso kam es auch. Wir trennten uns. Ich merkte, dass ich meinen Weg alleine weitergehen wollte und dass ich wieder mehr bei mir ankommen musste, mein eigenes Leben leben wollte. Dennoch war ich noch sehr lange unendlich traurig über unsere Trennung. Zeitgleich fand ich Karl, meinen neuen süßen Hund und Wegbegleiter. 

Pin Sec Plage

Nach drei Wochen zu Hause überrollte mich dann schon der nächste Alptraum. Es begann mit dem langersehnten Arzttermin beim Neurologen mit meiner Mutter. Die Diagnose war niederschmetternd: Alzheimer Demenz im fortgeschrittenen Stadium. Es verging ab da eigentlich keine Woche mehr ohne neue Hiobsbotschaften.

Ihr Demenztest eine Woche später, bei dem ich dabei war, machte mir eigentlich erst richtig bewusst, wie wenig sie noch kann und weiß. Wieder eine Woche später stellte sich heraus, dass sie Urin- und Stuhlinkontinent ist. Das zog mir zum ersten Mal den Teppich unter den Füßen weg, weil es für mich ein klares Signal dafür war, welches Ende alles nehmen würde. Ein paar Tage darauf rief ich den Rettungsdienst an, weil die Situation in meinem Elternhaus unhaltbar wurde. Die krankheitsbedienten Aggressionen meiner Mutter meinem Vater gegenüber wurden immer schlimmer.

Nach sehr offenen Gesprächen mit der Hausärztin und dem Neurologen lieferten wir sie einige Tage später gegen ihren Willen in eine psychiatrische Klinik ein. Das war dann der Punkt, der mir quasi das Genick brach: Ich konnte nicht mehr. Ich hatte eine ganze Zeit lang sehr eindeutige Stresssymptome wie kaum Appetit, Herzrasen, Rauschen in den Ohren und Schwindel sowie schon seit Wochen Schlafstörungen. Einige meiner Freunde betrachteten das mit großer Sorge und empfahlen mir, doch einfach früher loszufahren und mir eine Auszeit zu gönnen. 

Remote Work auf meinem Roadtrip

Das tue ich also gerade –  eine Woche früher als geplant. Vorher wird mir eine erneute Gewebeprobe aus der Bust entnommen, denn die sechs Monate sind rum. Auch dieses Mal ist alles gut.

Ich fahre über Köln, wo ich drei Tage verbringe und meine Mutter besuche, in Richtung Südfrankreich an die Atlantikküste und dann möchte ich weiter nach Nordspanien bis mindestens Santander an der Küste entlang fahren. Die Reisedauer soll ca. drei Wochen sein, vielleicht auch länger.

Mein Plan ändert sich jedoch gefühlt stündlich. Denn es ist unklar, was passiert wenn meine Mutter aus der Klinik kommt und ob ich dann gegebenenfalls wieder vor Ort sein müsste. Aber irgendwie meint es das Schicksal doch gut mit mir und wir erhalten kurzfristig einen Platz in einem Pflegeheim.

So telefoniere ich aus dem Auto auf meiner Fahrt von Köln nach Orléans abwechselnd mit dem Sozialem Dienst der Klinik, dem Pflegeheim und meinem Bruder. Dann delegiere ich alles an meinen Bruder und meine Mutter kann zur Kurzeitpflege noch in dieser Woche in das Heim umziehen. Ich merke, wie ich nach dieser Nachricht, immer mehr runterkomme. Jeder Kilometer, den ich hinter mir lasse läßt mich zusätzlich ruhiger werden. 

Hourtin Plage

Südfrankreich

In Orléans übernachte ich auf einen Camper-Stellplatz direkt an der Loire, den ich bei Park4night gefunden habe und den mir mein lieber Captain der Blackpearl (der ehemalige Arzt, den ich 2022 in Tarifa kennengelernt habe) ebenfalls empfiehlt. Es ist sehr hübsch dort, leider regnet es recht viel.

Am nächsten Tag fahre ich weiter Richtung Atlantik. Auf der Fahrt entscheide ich mich x-mal um, welchen Weg ich nehmen soll. Mein Ziel ist so ungefähr Arcachon. Letztlich fahre ich bis Royan, nehme dann die Fähre auf die Landzunge gegenüber und lande in Pin Sec.

Der letzte Teil der Fahrt dorthin führt durch einen wunderschönen Pinienwald. Ich kann die Pinien riechen und habe sofort super gute Laune. Die Straße ist recht holprig, voller Schlaglöcher und hunderte Male geflickt worden. Der Campingplatz liegt direkt hinter der Düne mit einem Zugang zum Strand. Kurz vor dem Übergang zum Strand gibt es einige Bars und eine Creperie.

Hier ist der Atlantik recht rauh, der Strand ist weitläufig und lang. Es ist kalt und regnerisch. Dennoch freue ich mich unglaublich am Meer zu sein. Am Strand gibt es einige Überreste von Bunkern. Karl findet den Strand ebenfalls gut und tollt ausgelassen umher. Das Meer und die Wellen faszinieren ihn. Er jagt angespülten Schaumfetzen hinterher und kaut auf einem Stück Sepia herum. Strand und Campingplatz sind sehr leer. Ich schlafe zum Geräusch der Brandung in meinem Aufstelldach ein und schaffe es wirklich seit Monaten mal wieder komplett durchzuschlafen.

Verdient, würde ich sagen 😉

Am nächsten Tag lasse ich mich ein wenig treiben und fahre einfach drauf los. Ich verbringe einen entspannten Vormittag in Hourtin Plage, einem Nachbarort.

Hier ist es ein wenig lebendiger. Es gibt Shops und Bars an der Zufahrtsstraße zum Strand. Am späten Mittag breche ich dann auf Richtung Hossegor. Die Fahrt dorthin führt mich noch lange auf einer Bundesstraße durch diesen riesigen Pinienwald, der offensichtlich die ganze Küste bedeckt. Ich entspanne immer mehr und denke darüber nach, wie schnell das nun ging. Ich bin drei Tage unterwegs und fahre schon wie im Flow – ohne eigentliches Ziel, ohne Eile, ohne Stress. 

Blick von Capbreton Richtung Spanien

In Hossegore bzw. Capbreton verbringe ich die Nacht ebenfalls auf einem Camper-Stellplatz direkt hinter der Düne. Der Parkplatz an sich ist nicht hübsch, aber es gibt Duschen und Toiletten, sowie Waschmaschinen. Die Lage ist einmalig, mit direktem Zugang zum Strand und einer Bar oben auf der Düne! Ich gönne mir dort direkt zwei Super Bock.

Abends schaue ich mir noch den Sonnenuntergang von der Düne aus mit den anderen Campern, überwiegend Surfer, an. Mich fesselt jedoch mehr der Blick die Küste runter nach Süden. Es herrscht ziemlich weite Sicht. Anfangs bin ich unsicher, ob die Hügel und Berge wirklich schon Spanien sind, die ich da sehen kann.

Irgendwann meine ich ganz weit hinten, die Picos de Europa mit ihrer markanten Form zu erkennen. Wow!!!! Ich bin total geflasht von diesem Anblick und habe sehr große Sehnsucht nach Spanien. (Aber sie waren es doch nicht, wie sich bei meiner Weiterfahrt dann herausstellt, dennoch war dieser Moment sehr beindruckend.) Auch hier schlafe ich selig zum Rauschen der Wellen ein. 

Zumaia

Baskenland

Meine nächstes Ziel ist Zarautz in Spanien. Als ich über die Grenze fahre jubel ich laut los. Karl schaut mich etwas verwundert an. Er entpuppt sich als hervorragender Beifahrer. Seine ruhige und entspannte Art legt er im Bulli nicht ab. Die meiste Zeit schläft er oder erschnuppert irgendetwas mit Blick aus dem Fenster. Ich bin sehr froh darüber, dass ich in ihm einen neuen, treuen und guten Reisegefährten gefunden habe. Vor vielen Dingen hat er noch Angst oder sagen wir mal Respekt, weil er sie nicht kennt und nicht einschätzen kann. Aber er lässt sich schnell überzeugen, dass das nicht nötig ist.

Zarautz ist ein hübsches Städtchen mit einem großen Strand. Der Campingplatz liegt auf einer Anhöhe oberhalb des Strandes. Leider habe ich nicht die Geduld zwei Stunden lang zu warten, bis mir jemand sagen kann, ob ich einen Platz erhalte. Ich fahre nach einer Stunde weiter. Was eigentlich schade ist, weil es hier echt nette Leute gibt und der Strand super schön ist. 

Ich nehme die Küstenstraße nach Zumaia. Sie schlängelt sich am Meer entlang und bietet eine tolle Sicht auf die grünen Hügel und Klippen ringsum.

Pause. 😉

In Zumaia checke ich für zwei Nächte auf dem Campingplatz ein, weil das die minimale Aufenthaltsdauer ist. Ich brauche eine Dusche, Strom, Wasser und etwas Ruhe zum Arbeiten. Am ersten Abend beschließe ich jedoch, die zweite Nacht nicht mehr zu bleiben. Soviel gibt es hier nicht zu entdecken. Zumaia ist ein recht überschaubares Städtchen mit einer sehr kleinen, leicht verwinkelten Altstadt in der einige Bars und Restaurants zu finden sind. Ich freue mich enorm, endlich Spanisch reden zu können, auch wenn es nur kurze Gespräche sind. Oft werde ich auf Karl angesprochen. 

Ich treffe einige Pilger und rufe ihnen jedes Mal ein freundliches »Buen Camino!« zu, die meisten bekommen das gar nicht mit, weil sie so sehr mit der Suche des Weges beschäftigt sind. Okay, ihr Camino ist hier noch am Anfang und die Anspannung merkt man ihnen an. Sie werden sich daran gewöhnen und merken, dass den Weg zu finden immer einfacher wird und immer mehr in den Hintergrund rückt, weil es so selbstverständlich sein wird den gelben Pfeil im Blick zu haben, ohne Buch, App oder Sonstiges, in dem man suchen muss.

Ich denke nur »Kopf hoch! Dann seht ihr auch wo es lang geht.« Das ist ein Satz, den ich mir selber auch mal in den letzen Monaten hätte sagen können. Stattdessen habe ich nur noch die Probleme gesehen und meinen eigentlichen Weg aus den Augen verloren. Wie habe ich so oft gesagt in der letzen Zeit? Ich war abgelenkt. Vielleicht war ich auch falsch abgebogen. Statt auf die Bremse zu treten und tief Luft zu holen, habe ich mir selber immer mehr aufgehalst. Kennst du das auch? Deine To-Do-Liste ist schon elend lang und du selber hast nichts Besseres zu tun, als immer noch weitere Punkte hinzuzufügen? Ich bin darin eine wahre Meisterin und muss dringend an mir arbeiten. Immerhin weiß ich das und manchmal schaffe ich es dann doch auf Pause zu drücken. So wie jetzt. Es ist zwar sehr spät passiert, aber ich mache mal Pause, ziehe die Notbremse, hier unterwegs in meinem Bulli und justiere mich quasi neu. Ich denke, das wird gut. 😉