Sherry Fässer

1998, das Jahr in dem ich auch schon in Andalusien bleiben wollte 😉

Ausgecheckt

Einfach so

Dann ist es soweit. Ich sage ihnen Tschüss und wünsche alles Gute in und mit diesem schönen Haus, streichle den Türrahmen im Vorbeigehen und sage: »Brookey, du warst ein gutes Haus.« Fast hüpfend vor Glück gehe ich zu Bo.

Wir packen mein MTB auf den neuen Fahrradträger und das war es. Wir fahren los. Einfach so. Mein Sohn, seine Freundin, Karl und ich machen uns auf den Weg nach Spanien. Es gibt keine Tränen. Ich kann einfach gehen und loslassen. Das wundert mich total. Es fühlt sich so an, als würde eine Last von mir abfallen, es fühlt sich nach Befreiung an. Das gibt mir kurz zu denken, aber ich schüttele diesen Gedanken ab, fast mit einem Schulterzucken, und schaue in die Zukunft.

Mir wird bewusst, wie lange ich eigentlich schon auf all dies warte. Wenn ich ehrlich bin, seit 1998. Damals wollte ich schon in Paris bleiben, später in Málaga und danach an so vielen Orten. An jeden kann ich mich nicht mehr erinnern.

Camping El Palmar

Frühstück auf  Spanisch! Ich liebe es!

Vor uns liegen 2700 km Fahrt. Es ist eng im Bulli, da ich selber sehr viel Gepäck dabei habe, denn ich will ja bleiben. Ich will in Spanien bleiben so lange wie es geht. Ich möchte in Zukunft den Sommer in Deutschland verbringen und den Rest des Jahres in Andalusien.

Wir haben das Haus verkauft, ich habe all meine Sachen und Möbel in einem Seecontainer für sechs Monate eingelagert sowie einen kleinen Teil bei Freunden untergebracht, bei denen ich auch ein Zimmer gemietet habe und gemeldet bin.

In Spanien habe ich für zwei Monate eine Wohnung in El Puerto de Santa Maria gemietet. Mein Sohn und seine Freundin kommen erstmal mit und wollen dann ihr eigenes Ding machen und rumreisen. Insgesamt wollen wir drei Monate bleiben. Danach ziehen die zwei von Osnabrück nach Köln zum Studieren. Zwischendurch möchte ich mal nach Portugal, mache anfangs einen Sprachkurs und werde sicher übers Wochenende mal nach Tarifa oder in die Berge fahren.

Bulli Anreise

Irgendwo am Mittelmeer bei unserer Anreise

Unsere Fahrt nach Andalusien verläuft problemlos und für mich vergeht die Zeit wie im Flug. Die Wohnung, die ich gemietet habe ist noch nicht ganz fertig gestellt, als wir ankommen (wir sind die Erstbezieher) und so kommen wir beinahe erst eine Woche verspätet rein. In dieser Zeit wohnen wir in einem anderen sehr schönen Appartement. In El Puerto, wie die Spanier liebevoll sagen, fühle ich mich direkt wohl. Angekommen fühle ich mich in dem Moment, als wir die eigentliche Wohnung beziehen.

Ich habe ein paar Dekoartikel mitgebracht. Als ich sie auspacke, fühle ich es nicht mehr. Es sind Dinge, an denen ich hänge. Zumindest dachte ich das. Aber hier fühlen sie sich völlig fehl am Platze an. Das bringt mich nach ein paar Tagen auf die Idee in Gedanken meine Sachen, die im Container lagern, durchzugehen. Auch da fehlt mir auf einmal die Verbindung. Ich habe wirklich Möbel, an denen ich sehr hänge – dachte ich zumindest. Sie verlieren hier in einer atemberaubenden Geschwindigkeit an Bedeutung für mich. Das habe ich so nicht erwartet. Ich dachte schon, dass ich mich von vielem nach den drei Monaten trennen werde, aber dass ich nach nur einem oder zwei Tagen in der Wohnung hier denke, ich brauche den größeren Teil meiner Sachen nicht mehr, das überrascht mich sehr.

Vampir

Der Tanz der Vampire in Köln ist auch noch drin bei meiner Abschiedstour

Die letzen Monate waren anstrengend, aber sehr zufriedenstellend. Ich hatte eine riesige To-do-Liste. Schließlich mussten wir das Haus leer räumen, ich musste meine Sachen einlagern, entscheiden, was ich mitnehme und was nicht, was ich weggeben oder wegwerfen kann.

Ich habe seit kurz nach Weihnachten mein ganzes bisheriges Leben buchstäblich in den Händen gehalten, jedes einzelne Teil meiner Besitztümer einmal angefaßt und entweder eingepackt oder eben nicht. Nebenbei habe ich mich um meinen Vater gekümmert, der gesundheitliche Probleme hatte, wir haben einen Studienplatz für meinen Sohn gefunden, ich war regelmässig beim Sport, bei einigen Ärzten, hatte viel Administratives zu erledigen und ab irgendeinem Punkt habe ich Abschieds-Partys gefeiert, aber niemandem wirklich richtig Lebewohl gesagt. Das habe ich immer vermieden.

Meine Sachen ziehen um!

An dem Tag, als der Großteil meiner Sachen in den Container umgezogen ist, war ich super glücklich. Allerdings war es doch ein wenig komisch zu sehen, dass mein Leben da nun in diesem Container schlummert. Ich hatte bei allem überwältigend viel Hilfe von Freunden. Tausend Dank an euch alle, falls ihr das hier lest!!!

In all dieser Zeit war ich so beschäftigt, dass keine Melancholie aufkommen konnte. Im Gegenteil, ich wusste beinahe die ganze Zeit, dass es richtig ist, was ich da tue. Mein Hauptgedanke war »Krass, ich ziehe das wirklich durch!«.

Palmen im Regen

Auch bei Regen schön 😉

Tausche Wald gegen Strand

Trotz einer Menge Regen, den wir anfangs hier haben fühle ich mich unglaublich wohl und bin stets gut gelaunt und glücklich. Nach vier Wochen bin ich dann wirklich zum ersten Mal alleine.

Mein Sohn und seine Freundin sind abgereist, meine Spanisch-Lerngruppe schon lange, mein Trip nach Portugal zu Freunden und der Wochenendbesuch einer Freundin liegen auch schon hinter mir. Jetzt wird es spannend für mich. Ich bin alleine. Alleine hier in Spanien und schaue mal, wie mir das Leben nun schmeckt. Ehrlich gesagt: es schmeckt nach Schokolade – so süß und gehaltvoll. Ich bin alleine ja, vielleicht rede ich an manchen Tagen nicht ganz so viel. Aber das stört mich wenig, denn zu Hause hatte ich ebensolche Tage auch.

Sonnenuntergang El Palmar

Mal wieder am Meer, mal wieder Sundowner

Meine sonstigen Aktivitäten genieße ich sehr, wie z.B. mal kurz auf dem Plaza de España einen Kaffee oder ein Bier trinken gehen, mittags ein paar Tapas essen, durch die Stadt schlendern, zu Fuß zum Supermarkt oder in die Markthalle gehen, abends auf der Dachterrasse sitzen und einfach nur die Störche, die auf der Kathedrale nisten, beobachten, mal kurz nach El Palmar oder Tarifa fahren.

Meinen geliebten Wald habe ich gegen Strand eingetauscht, an dem Karl und ich spazieren gehen. Karl stellt sich als unglaubliche Wasserratte heraus. Er fängt schon an zu springen vor Glück, wenn er das Meer riecht. Durch ihn komme ich mit sehr vielen Spaniern ins Gespräch.

Karl, mein Publikumsmagnet, hat anfangs Angst vor der Treppe

Dennoch bin ich sehr unzufrieden, was mein Spanisch angeht. Mir sagen zwar einige Leute, ich würde gut sprechen, aber oft kommt es nicht so flüssig raus, wie ich es gerne hätte. Das braucht einfach Zeit und Geduld.

Genau das ist hier mein Credo aktuell: ich lasse mir Zeit, gehe die Dinge langsam an. Ich tue vieles bewußt. So fahre ich bewußt mal nach Valdelagrana an den Strand für einen Spaziergang, erkunde neue Geschäfte, möchte bald mal ins Hinterland fahren, nach Jérez oder nach Sanlucar und natürlich immer wieder nach Cádiz, Tarifa und meinem neuen Lieblingsort – fast vor der Haustür – El Palmar (diese chillige Hippie-Surfer-Kommune hat es mir sehr angetan und ist absolut mein Ding!)

El Puerto Plaz de Colon

El Puerto de Santa Maria

Prinzessinnen Turm

Meine Wohnung ist ein Traum. Ich habe eine riesige Dachterrasse und eine zweite vor der Eingangstür. Es ist eine Maissonettewohnung mit meinem Schlafzimmer in der zweiten Etage. Von dort aus habe ich durch ein Panoramafenster einen atemberaubenden Blick auf die Rückseite der Kathedrale. Das hier ist mein Refugium und ich nenne es meinen »Prinzessinnen Turm«.

Cadiz

Das Licht in Cádiz ist unbeschreiblich

Das Stadtleben genieße ich sehr, auch wenn El Puerto eine kleine Stadt ist. Ich fühle mich wie in einem Kölner Veedel. Man kennt sich schnell.

Jeden Morgen spreche ich ein paar Sätze mit Jéronimo, dem selbsterkorenem Parkplatzwächter, in der Parallelstraße. Er ist ein Herzensguter-Mensch, obdachlos, sehr gebildet und kann ein paar Floskeln Deutsch. Stolz zeigt er mir, dass seine Geschichte im Internet auf einer Website über besondere Menschen aus El Puerto steht. Ich lese seine Geschichte, verstehe aber leider nicht alles ganz genau. In den Grundzügen verstehe ich aber schon und es beeindruckt mich sehr. Er spendet das Geld, was er freitags einnimmt auf eben diesem Parkplatz, komplett an Menschen, denen es aus einer Sicht schlechter geht als ihm bzw. die es eher gebrauchen können als er. Zur Erinnerung: er ist obdachlos! Ich finde das wirklich extremst beeindruckend und freue mich jeden Morgen mit ihm zu sprechen.

Carrapateira

Carrapateira – bei meinem Besuch in Portugal

In Teilzeit

Immer wieder denke ich etwas erstaunt darüber nach, dass ich tatsächlich hier bin. Ich habe zu Hause und aus meinen bisherigen leben »ausgecheckt« und es durchgezogen. Ich bin quasi alleine »ausgewandert« bzw. wandere in Teilzeit aus. Mein Plan, ein paar Monate hier zu sein und den Rest des Jahres in Deutschland, kann funktionieren. Interessanterweise bin ich nicht die Einzige, die solche Ideen hat. Schnell finde ich Kontakt zu Menschen, die ähnlich leben oder leben wollen. Zufall? Oder strahle ich da etwas aus?

El Palmar Zoco

Voll mein Ding … Chillie-Hippie-Surf

Ich lerne ziemlich am Anfang einen Immobilienmakler aus Malaga kennen, halb Holländer, halb Spanier. Zusammen mit Helen aus England, die ebenfalls zwischen den Ländern lebt – wie ich es mal nennen möchte – haben wir einige lustige Treffen. Da gibt es noch Claudia, sie lebt auf Sylt, kommt aus Osnabrück und verbringt jedes Frühjahr in El Palmar mit ihrer mobilen Surf- & SUP-Schule. Wir haben uns im Spanisch-Kurs der VHS in Osnabrück (wo sie teilweise auch schonmal bei ihren Eltern wohnt) kennengelernt und auf Anhieb gut verstanden. Hier besuche ich sie in El Palmar. Von Captain Jack und seiner Frau muss ich nicht erzählen. Sie verbringen mittlerweile den Großteil des Jahres in Portugal und sind sicherlich dort mehr zu Hause als in Stuttgart. Dann treffe ich noch auf ein kurzes Gespräch eine ältere Dame aus Köln, auch sie lebt mal hier mal dort, einen Schweden, der das Gleiche will, sich aber noch nicht ganz traut usw.

Also was soll ich sagen? Ich bin hier in bester Gesellschaft und es wird immer besser. Morgen z.B. habe ich eine Surf-Lesson mit Alvaro (ihn kenne ich aus El Palmar) in Cádiz bei kleinen Wellen, weil ich ja noch nicht so viel kann 😉 Aber wer weiß, ich wohne ja jetzt quasi Teilzeit am Meer und kann es dann ja ganz, ganz vielleicht doch noch lernen. Mit Geduld, spanischer Gelassenheit und der nötigen Zeit. Ich genieße es aktuell sehr, zur Ruhe zu kommen nach den letzten Monaten.