Mittelmeer und Atlantik treffen in Tarifa aufeinander
angespült
Im Hier und Jetzt
Nach etwas mehr als einer Woche in Tarifa überlege ich langsam meine Zelte abzubrechen. Es wundert mich eigentlich, da ich hier sehr nette Leute kennengelernt habe und wir zu einem kleinen eingeschworenem Team geworden sind. Wir helfen uns und halten zusammen. Wir kaufen zusammen ein, kochen oder grillen gemeinsam, machen den Abwasch und Waschen unsere Wäsche zusammen in den campingplatzeigenen Waschmaschinen. Mein kleines Team besteht aus zwei Männern, ein Schwabe und ein Österreicher. Beide Kite-Surfer mit viel Unsinn im Kopf. Abends sitzen wir bei einem Bier oder Wein zusammen reden über das Leben, unsere gescheiterten Ehen, über Träume, Erwartungen und Zukunftssorgen, hören jede Menge gute und chillige Musik und feiern einfach den Moment und das Leben. Ich bin die meiste Zeit ganz im Hier und Jetzt.
Wanderdüne Valdevaqueros
Ab und an gibt es für einen von uns schlechte Nachrichten aus der Heimat, auch dann sind wir füreinander da. Manchmal treibt es uns in die Campingplatz-Bar, hier trifft ein sehr bunter Haufen interessanter Persönlichkeiten aufeinander. Die meisten sind Aussteiger oder wie ich Teilzeit-Aussteiger. Manche gehören der platzeigenen ganz speziellen Freak-Show an. So zum Beispiel der Franzose, vielleicht an die 70 Jahre alt, der hier seit zwei Jahren darauf wartet endlich wieder nach Marokko einreisen zu können. Oder ein Paar aus Schwaben, die hier offensichtlich für immer bleiben wollen. Er ist Rentner und kifft die meiste Zeit, sie arbeitet remote.
Ich rede und lache sehr viel. Was wir hier nicht tun, ist über die aktuelle Weltpolitik, Corona oder sonstige Schreckens-Szenarien zu reden. Einvernehmlich befinden wir uns zusammen in dieser Feel-Good-Blase. Probleme haben wir alle genug oder genug gehabt. Wir freuen uns zusammen über ein bisschen Sonne, Wind und gutes Essen. Über die Freiheit hier sein zu können und über unsere im Moment richtig geilen Leben. Auch hier führe ich kaum oberflächliche Gespräche. Du gehst direkt in die Tiefe.
Strandbar Caños de Meca
Nach einer Woche fühlt es sich für mich mit meinen beiden Buddies so an, als würden wir uns schon ewig kennen. Oft frage ich mich, wie ich eigentlich zu Hause wieder klar kommen und mich einleben soll? Bin ich eigentlich noch resozialisierbar? Kann ich wieder in meinem Haus wohnen, von dort im Home Office arbeiten und mich mit den kleinen und großen Dingen des Alltags beschäftigen? Ich weiß es nicht. Aber ich befürchte, dass es schwer wird. Gestern Abend hatte ich mit einem ehemaligen Arzt in Frührente, der seit fünf (!!) Jahren mit seiner Frau und drei Hunden durch Europa reist ein sehr gut Gespräch darüber.
Wir hatten uns zu diesem Gespräch bereits locker verabredet und gestern hat es in der Bar geklappt. Der Strom war ausgefallen und wir saßen bei Kerzenlicht und Kaminfeuer zusammen. Auf die genauen Einzelheiten möchte ich gar nicht eingehen, aber eines möchte ich euch weitergeben:
feel good 😉
Er erzählte von seinem 93-jährigem Opa, der ihm immer bloß zwei Fragen gestellt hat. Dieser Opa hat zwei Weltkriege miterlebt, war in russischer Kriegsgefangenschaft, hat – ich glaube – zwei Ehefrauen gehabt und mehrer Kinder und Enkel. Also kurz zusammen gefasst, dieser Opa hatte eine Menge Lebenserfahrung und dennoch wollte er von seinem Enkel immer nur diese zwei Fragen beantwortet haben: Hast du heute schon eine warme Mahlzeit gehabt? Und – dies ist die entscheidende Frage: Fühlst du dich wohl? Genau. Fühlst du dich wohl? Wohl in deiner Situation? Deiner Ehe? Deinem Job? Mit deinen Freunde? Im Kreise deiner Familie? In deinem Haus? An deinem Wohnort? In deinem Leben so wie es ist? Die Antwort ist immer simpel, entweder ja oder nein. Mehr gibt es da nicht zu sagen. Ja oder nein. Und bei »Nein« als Antwort sollten du schnell zusehen, dass sich etwas ändert.
Du fragst dich jetzt wie ich mich fühle? Wohl. Hier und jetzt fühle ich mich sehr wohl! Der Zufall hat mich hier angespült und ich bin extrem dankbar dafür. Ich glaube, ich bleibe doch noch ein bisschen.