Rorbu in Glesvaer 1999
Alles ganz normal hier
Lago di Como – Val Bodengo – Bodensee
Im Jahr 1999 waren mein damaliger Freund und ich zusammen mit seinem Opa zum Angeln für eine Woche in Norwegen in Glesvaer bei Bergen. Ich weiß nicht mehr ganz genau an was für einem Tag wir ankamen, aber es war ein Dienstag Abend kurz nach unserer Ankunft als uns der Feriengast, der unter uns im Rorbu wohnte zum Essen einlud. Ein Rorbu ist ein kleines Boots- bzw. Fischerhaus aus Holz, was in unserem Fall zu Ferienwohnungen umgebaut worden war.
An diesem Dienstag Abend hatte der Sohn der Vermieterin gekocht. Es gab Miesmuscheln in einer Sauce aus Weißwein und Sahne mit viel Baguette zum Tunken. Thorvald, der Sohn der netten alten Dame, die uns das Rorbu vermietete, hatte am Vormittag die Miesmuscheln mit einem Rechen von seinem Boot aus von der Fjordwand gekratzt. Sie waren also buchstäblich fangfrisch. Ich kann mich noch ganz genau an diesen unglaublichen Geschmack erinnern. Ich habe nie wieder solch fantastische Miesmuscheln gegessen. Völlig begeistert nahm ich mehrfach nach und lobte den Koch und diese für uns außergewöhnliche Köstlichkeit. Er versicherte uns immer wieder lachend, dass dies in Norwegen ein »ganz normales« Dienstag-Abend-Essen wäre.
Wir hatten eine Menge Spaß an diesem Tag mit Thorvald und auch noch den ganzen Rest der Woche. Es gab nicht nur das »ganz normale« Dienstags-Essen sondern auch den ebenso absolut normalen Törn mit seinem aus Mahagoni gefertigtem Segelboot am – sagen wir mal – Mittwoch Abend. Und immer lachte er sein dunkles, herzhaftes und mitreißendes Lachen. Er hatte wirklich permanent einen Schalk im Nacken.
An einem anderen Abend, vielleicht freitags, sind wir dann mit seinen kleinen Motorbord in den Fjord gefahren, um mit dem bereits erwähntem Rechen, Krebse zu fangen Auch die haben wir von der Fjordwand abgesammelt. Es war Vollmond und sternenklar. Um die Krebse beim »Krabbe lüsen«, wie der Norweger sagt, nicht zu verjagen nutzten wir statt des Motors Paddel. Bei jedem Eintauchen der Paddel in das beinahe schwarze Fjordwasser glitzerte es. Thorvald erklärte uns, dass auch dies normal wäre, es wären Algen die fluorisieren durch das Licht des satten Vollmondes. »Ach so, ja.«, dacht ich damals »Das ist alles ganz alltäglich hier und ich fühle mich wie im Paradies.« Thorvald erschien mir so beeindruckend unbeschwert, gelassen und naturverbunden, dass ich heute noch an ihn denken muss.
Sundowner-Segeln auf dem Bodensee
Vor allem heute muss ich an ihn denken. Denn ich bin an einem »ganz normalem« Montag Abend segeln auf dem Bodensee. Das Wetter ist grandios. Alex, sein Kumpel und ich segeln zum Sonnenuntergang über den See. Es hat recht ordentlich Wind und wir haben viel Lage, was ich liebe. Ich schaue mir dieses wunderschöne Schauspiel der untergehenden Sonne an der einen Seite des Sees an und bewundere den Blick ins Rheintal mit den angrenzenden Alpen an der anderen Seite. In diesem Moment verliebe ich mich Hals über Kopf in den Bodensee. Er ist einfach riesig, zeitlos schön, ruhig und gelassen aber auch wild und unbändig.
Wir haben Ende August, es ist nach wie vor sehr warm. Dennoch muss ich irgendwann einen Pullover überziehen. Am Ende des Segeltörns genießen wir in der Nähe des Hafens von einer Wiese aus den Blick auf den See und in den Sternenhimmel, trinken Bier und Wein und reden über unsere Leben, unsere alternden Eltern und über Zukunftspläne. Was für ein Abschluss meines nächsten Aufenthaltes hier in Vorarlberg. Es ist Montag, am Mittwoch fahre ich wieder heim, mal wieder mit dem Zug.
Am Wochenende waren wir mal kurz am Comer See. Auch ganz normal hier, so ein Wochenendtrip. Das ist ja nicht so weit. 😉 Wir fahren meist über den Splügen Pass mit seinen feinen Kurven. Ich liebe es die Bergkühe in der Schweiz zu beobachten und dann – architektonisch gesehen – ganz sacht nach Italien einzutauchen. Im Tal auf der italienischen Seite der Alpen schlägt mein Herz jedes Mal Purzelbäume beim ersten Anblick einer Palme. Wahrscheinlich ist es immer die gleiche Palme ;-))
Blick auf den Comer See
Am Comer See sind wir in Dongo, unserem Lieblingsort. Es ist dort auch für mich fast ein wenig wie nach Hause kommen, weil der Campingplatz so familiär ist. Für den Samstag haben wir Canyoning in Val Bodengo gebucht. Val Bodengo liegt circa 40 Minuten Fahrt zurück Richtung Alpenpässe vom See entfernt. Obwohl ich so etwas noch nie gemacht habe, buchen wir direkt Val Bodengo 2. Alex ist der Meinung, dass ich das alles kann, weil ich ja klettere. Okay. So. So. Es stellt sich heraus, dass ich es nicht kann.
Zumindest kann ich nicht aus einer gewissen Höhe in Felsbecken springen. Ich kann mich abseilen und diese Variante wähle ich dann bei jedem höheren anstehenden Sprung. Beim ersten Sprung versuche ich es noch, setzte immer wieder an und – nein – es geht nicht. Am Ende nimmt mich der Guide, der nur Italienisch spricht, an die Hand und wir springen zusammen. Ein anderes Mal gibt es keine Möglichkeit sich abzuseilen und ich soll einfach meine Arme vor der Brust kreuzen, einen Schritt weiter runter am Fels tun und dann hebt der Guide mich irgendwie hoch und lässt mich einfach fallen. Okay, das macht mir Spaß. Aber ich bekomme es nur aus geringen Höhen hin, aus eigenem Antrieb zu springen.
Alex springt überall runter, juchzt vor Freude und filmt alles mit der GoPro. Wir sind ein Gruppe von sechs Leuten, ein italienisches Pärchen, ein holländisches und wir zwei sowie der Guide. Die beiden Italiener übersetzen schonmal, was der Guide sagt. Ansonsten kommunizieren wir per Handzeichen und einem Mix aus Italienisch und Spanisch. Irgendwie verstehen wir uns. Der Canyon ist atemberaubend schön. Der helle Fels, das klare türkisfarbene und eiskalte Wasser, die Sonne – es ist einfach nur toll. Im Fluß gibt es sehr viel Wasser, so dass wir viel schwimmen müssen. Insgesamt sind wir mehr als vier Stunden unterwegs. Irgendwann werde ich ein bisschen mutiger und traue mich von einem etwas höheren Felsen zu springen.
Canyoning-Sprung aus ca. 10 m Höhe, nichts für mich!
Gegen Ende der Tour kann ich mich an einem Wasserfall abseilen, soll in einer Höhle hinter dem Wasserfall auf den Guide warten und dann tauchen wir gemeinsam unter dem Wasserfall her um zu den anderen zu gelangen. Ich bin total geflasht! Diese Kraft des fallenden Wassers beim Eintauchen ist riesig. Es prasselt auf meinen Helm und drückt mich weiter runter. Aber irgendwie bleibe ich total cool dabei und vertraue meinem Guide blind. Er wirkt so gelassen und routiniert sowie professionell, dass ich mir keine Gedanken mache, dass irgendetwas schief gehen könnte. Obwohl er die ganze Zeit sehr ernst schaut mag ich ihn total. Ein einziges mal lacht er, und zwar in dem Moment, als wir unter dem Wasserfall her geschwommen sind und wieder auftauchen.
Alex und ich feiern unser kleines Abenteuer gebührend und gehen am Abend oberhalb von Gravedonna in den Bergen in einer Trattoria essen. Bei Rinderfilet vom heißen Stein mit Gemüse, Brot und Rotwein haben wir Blick auf den See und fühlen uns einfach nur wohl. Ein paar Tage später begegnet mir ein Spruch, den ich mir zu Herzen nehmen möchte: »Dein Mut wohnt direkt hinter deiner Angst. Um IHN zu finden musst du an IHR vorbei gehen.« Wie wahr. Ich arbeite daran und springe einfach beim nächsten Mal ins buchstäblich kalte Wasser.*
* Aber eigentlich habe ich das schon getan: Meinen Job als Grafik Designerin habe ich vor einigen Wochen gekündigt, auch wenn es Unsicherheiten mit sich bringt, nur noch freiberuflich tätig zu sein. Wie durch ein Wunder habe ich erste Interessenten und Neukunden, die sich für meine Dienste im Bereich Social Media interessieren – ein Bereich, den ich neu in mein Portfolio aufgenommen habe. Das ist der eine Teil meines Planes, der andere lautet: Mehr Schreiben. Hier habe ich also meinen Mut gefunden und die Angst beiseite treten lassen. Im Canyon schaffe ich das vielleicht auch beim nächsten Mal 😉